Das Zusammenspiel zahlreicher Arten wurde zum Ausgangspunkt unserer Feldstudien. Um ein dynamischeres Verständnis über die Beziehungsgeflechte in unserer Umwelt zu bekommen, widmen wir uns zunächst Bäumen im urbanen Raum. Als Mitbewohnende im städtischen Geschehen tragen sie nicht nur zu ökologischen, sondern auch zu sozialen Aspekten bei. Trotzdem werden sie meist nicht als Teilhabende berücksichtigt. Aber (wie) können wir Bedürfnisse und Perspektiven anderer Spezies überhaupt verstehen?

Den Blick auf Gesundheit zu erweitern, indem wir nicht nur Menschen, sondern auch andere Arten einbeziehen, birgt Herausforderungen: Wie können wir uns multi-spezies Perspektiven annähern und andere Wissensformen anerkennen? Wie können wir beispielsweise das Innenleben einer Pflanze verstehen? Und vor allem: Wie können wir in Kontakt treten, ohne zu vermenschlichen? Wie re-präsentieren wir, ohne dieselbe Sprache zu sprechen? Das sind Fragen, die auch die kulturanthropologischen Debatten prägen. In Dialog zu treten bedeutet aber vielleicht nicht, im wörtlichen Sinne dieselbe Sprache zu sprechen, sondern aktives Zuhören herauszufordern und empathische Verbindungen zu schaffen.

inside plants

Um uns experimentell an Pflanzenperspektiven anzunähern, haben wir den Künstler und Musiker Paul Bießmann getroffen. Paul hat in Zusammenarbeit mit Dominik Zehnder und Jorge Luis Juárez Peña, im Rahmen des Artist-in-Lab Programms des Fraunhofer Instituts, das Projekt insideplants ins Leben gerufen. Seine Installation arbeitet an und mit den Schnittstellen von Mensch, Technologien und Pflanzen. Hörbar werden beispielsweise photosynthetische Prozesse als physiologische Antwort auf die Umwelt des Baumes. Auf künstlerische Weise wird so nicht nur die Trennlinie zwischen Mensch und Pflanze verwischt, sondern auch das Innenleben des Baums ins Zentrum der Erfahrung gerückt.
Wie können wir uns sensorisch in Pflanzenwelten hineinversetzen? Im Film begleiten wir die Messung an einer Buche im Südteil des Englischen Gartens in München.

die baumpflegerin

Bäume sind ein essentieller Bestandteil von Städten und urbanem Leben, unterstreicht auch Anja Überschär, Baumpflegerin aus München. Baumpfleger:innen wie Anja und ihr Team engagieren sich für die Gesundheit und Sicherheit von Bäumen und agieren dabei als Vermittler:innen in einem komplexen Netzwerk von Beziehungen – zwischen Menschen, der städtischen Umwelt und den Bäumen selbst. Anwohner:innen, Stadtplaner:innen und Unternehmen bringen dabei unterschiedliche Vorstellungen, Ressourcen und Wünsche ein. Das Zusammenleben von Menschen und Bäumen gestaltet sich heterogen und kontrovers. In unserer Forschung wurde deutlich: Es kann Alternativen zur Fällung geben.

die bäume vom köşk garten

Im November 2023 kämpft die Initiative Köşk Garten Retten für den Erhalt einer grünen Oase im Münchner Westend. Sie stellt damit die Bedeutung von Grünflächen und Bäumen für das urbane Mikroklima, für vielschichtiges Wohlbefinden und sozialen Austausch in den Vordergrund. „Ein Ort der Ruhe und Entspannung, ein Ort des kulturellen Austauschs, ein über Jahrzehnte gewachsenes Ökosystem“ soll einem Neubau weichen. Der Diskurs über urbane Gesundheit und Lebensqualität verdeutlicht die Verschränkung von ökologischen und sozialen Aspekten. Letztlich stellt sich die Frage, wie sich die Partizipation von menschlichen und nicht-menschlichen Akteur:innen bei politischen Entscheidungsprozessen gestaltet. Welche Stimmen kommen zu Wort, welche werden gehört?

Wälder wecken viele Assoziationen. Sehnsucht und Zuflucht, Ruhe und Entspannung, Abenteuer und Mystik. Sie sind Inspirationsquelle für Literatur und Kunst und stehen zugleich für Anpassungsstrategien, Evolution oder die Vielfalt der Arten. Inmitten der Spannungen zwischen Pflege, Nutzung, Ausbeutung und “in Ruhe lassen” (Rewilding), beschäftigen wir uns in diesem Feld mit Perspektivwechseln auf Gesundheit. Indem wir Care in den Mittelpunkt stellen und um eine mehr-als-menschliche Sichtweise erweitern, können wir uns fragen, kümmern sich Wälder eigentlich um uns? 

Care auf mehr-als-menschliche Akteur:innen auszudehnen, macht Care-Praktiken nicht zu einer weniger menschlichen Angelegenheit, schließt aber weitere Perspektiven mit ein. Ausgehend von einer Ko-Existenz mit nicht-menschlichen Akteuren wie beispielsweise Wäldern, werden deshalb die bestehenden Abhängigkeiten innerhalb dieses Netzwerks verdeutlicht.8
More-than-human Care bietet damit die Möglichkeit, die Existenzen nicht nur als eine Verflechtung des Seins, Wissens, Handelns, Beeinflussens, oder Austauschens mit anderen Arten zu betrachten, sondern auch für diese Gefüge Sorge zu tragen. Diese de-anthropozentrische Linse kann wiederum helfen, sozio-ökologische Konflikte komplexer zu betrachten und die Perspektiven von more-than-human Akteur:innen in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen. 

transition woods

Mit ihrem Verein Transition Woods widmen sich Niels Ondraschek und Christoph Mandel der Schaffung und Erhaltung natürlicher Waldlebensräume, in denen die Eigendynamik von Wäldern, das Ökosystem, der Artenschutz und dessen Bedeutung für den Klimaschutz im Mittelpunkt stehen. Ihre Arbeit beleuchtet die Ambivalenz zwischen der Nutzung und Pflege von Wäldern und wirft die wichtige Frage auf, wie menschliche Eingriffe möglichst schonend gestaltet werden können.“Zunächst einmal braucht es eine Bewusstseinstransition”, betont Christoph. Für den Schutz unserer Wälder brauchen wir nicht nur Praktiken der Gesunderhaltung, sondern auch ein erweitertes Verständnis für die genannten Entanglements. Wälder sind nicht nur bloße Ressourcen, sondern lebenswichtige Akteur:innen, die mit ihrer Umwelt interagieren und diese aktiv formen.

Die menschliche Interaktion mit der Umwelt ist vielfältig und weitreichend. Der Verlust von Biodiversität, Luft- und Umweltverschmutzung und durch den Klimawandel bedingte Katastrophen stehen in engem Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten. Unser Planet ist nicht gesund.
Der Begriff Anthropozän bringt diesen menschlichen Einfluss und seine Folgen zum Ausdruck und stellt uns vor die Herausforderung, Verantwortung für diese Spuren zu übernehmen. Können wir für den Planeten Sorge tragen? Und welche Zukunft möchten wir mit unserer Gegenwart schaffen?

Die Zusammenhänge und Entanglements von NaturenKulturen haben in Bezug auf Gesundheit und Care auch eine planetare Dimension. Die Art und Weise wie Gesundheit stabilisiert beziehungsweise destabilisiert wird, ist aber nicht „uniform“, sondern die ökologischen und sozio-politischen Auswirkungen unterscheiden sich. Um die Facetten des Anthropozäns besser zu verstehen, müssen wir anschließend an Anna Tsing deshalb auch lokale Geschehnisse untersuchen und dokumentieren.12 2023 wurden nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch global die heißesten jemals gemessenen Temperaturen verzeichnet. Hitze stellt speziesübergreifend eine gesundheitliche Bedrohung dar. Darüber hinaus zeigt sich ein zukünftiger Trend zunehmender Klimaerwärmung und Extremwetterereignisse. In diesem Sommer haben wir in München Aspekte solcher Auswirkungen auf das soziale Zusammenleben beobachtet.

planetary health

Verantwortung zu übernehmen heißt für die unterschiedlichen Gruppierungen aus dem For Future Bündnis der Klimabewegung, sich aktivistisch zu engagieren, öffentlich Aufmerksamkeit zu schaffen sowie in den Austausch mit politischen Instanzen zu gehen.
Health For Future, die sich mit Personen aus dem Gesundheitswesen an das Bündnis anschließen, setzt sich für einen gesunden Planeten als Grundlage menschlicher Gesundheit ein. Durch Aktionen, Workshops oder Diskussionsräume macht H4F auf diese Verschränkungen mit planetarer Gesundheit aufmerksam.
In München haben wir die lokale Ortsgruppe begleitet und über ihren Aktivismus gesprochen. Dabei wurde der multi-spezies Ansatz unserer Forschung zum Diskussionspunkt: Können neue Betrachtungsweisen der Beziehungen zwischen Mensch und Nicht-Mensch überhaupt Chancen zur Bewältigung aktueller Krisen bereitstellen? Wie sinnvoll ist eine de-anthropozentrische Sichtweise?

Für den Planeten, für multiple Spezies und uns selbst Sorge zu tragen ist ein komplexer Prozess und schließt Kontroversen mit ein. Ko-existieren bleibt geprägt von unterschiedlichen Machtverhältnissen, Bedürfnissen, Meinungen und Forderungen. Ob durch Kunst, Aktion, Emotion, Vernetzung, Diskussion, Fiktion, oder Expertise – Sich Kümmern kann unterschiedlich praktiziert werden. „Taking care“ kann heißen, unterschiedliche Bedürfnisse zu verstehen, diese antagonistisch auszuhandeln, Verantwortung zu übernehmen sowie sich für umfassende Rechte im Sinne eines solidarischen Miteinanders innerhalb unserer multi-spezies Netzwerke einzusetzen. Wandel braucht solidarische Zusammenschlüsse. Ko-existiert euch!


  1. van Dooren, Thom; Kirskey, Eben; Münster, Ursula 2016 ↩︎
  2. Das Konzept der “entanglements” im multi-spezies-Kontext wurde geprägt von Donna Haraway. Siehe dazu “A Cyborg Manifesto” (1985) und “When species meet” (2007) ↩︎
  3. Latour 1995 ↩︎
  4. Latour 2007 ↩︎
  5.  Gesing, F., Knecht, M., Flitner, M., & Amelang, K. (2019): 7f. ↩︎
  6. Puig de la Bellacasa 2017 ↩︎
  7. Original Zitat: “caring [is to be] viewed as a species activity that includes everything that we do to maintain, continue, and repair our ‘world’ so that we can live in it as well as possible. That world includes our bodies, our selves, and our environment, all of which we seek to interweave in a complex, life-sustaining web.” Tronto 1993: 103 ↩︎
  8. Puig de la Bellacasa 2017 ↩︎
  9. Tsing, Deger, Saxena, Zhou 2021 ↩︎
  10. siehe hierzu u.a. die Reflektionen von Haraway, Tsing 2019. Gibts auch zum Anhören als Podcast https://edgeeffects.net/haraway-tsing-plantationocene/ ↩︎
  11. Haraway, Tsing 2019: 5f ↩︎
  12. Anna Tsing et al. (2021) haben mit dem Feral Atlas einen multimodalen Beitrag dazu geleistet: https://feralatlas.supdigital.org/?cd=true&bdtext=introduction-to-feral-atlas ↩︎
  13. Haraway 2016: 1 ↩︎
  14. Haraway 2018: 75 ↩︎
  15. Haraway 2018: 48 ↩︎

Das vollständige Literaturverzeichnis ist auf unserer Creditseite zu finden.