Über das Projekt
„It matters what stories make worlds, what worlds make stories.“
(Donna Haraway)

Den Menschen de-zentrieren?
Für uns als Gruppe von 6 Studierenden wurde ziemlich schnell klar, wie mensch-zentriert unser Verständnis und Wahrnehmung der Welt eigentlich ist. Selbst Anthropologie — die Wissenschaft vom Menschen — mag zunächst auf diese Zentriertheit hindeuten. Bei genauerem Hinsehen wird aber das Netzwerk und der Austausch mit Objekten, Technologien und anderen Spezies schnell deutlich.
Wer unserer Leser:innenschaft kann sich das Leben beispielsweise noch ohne Technologien vorstellen? Wer ist sich über die überlebenswichtigen Mikroorganismen im Körper bewusst, die unser Immunsystem stärken? Wie gestaltet sich Wissen ohne Suchmaschine oder Kommunikation ohne Plattform? Wer erkennt sich selbst im Abängigkeitsnetzwerk verschiedener multi-spezies Akteure wider? Menschen und menschliches Zusammenleben zu studieren, bedeutet also, in Verbindungen, Bezugsweisen und Hybriden zu denken.
Als Kulturanthropolog:innen begeben wir uns im klassischen Sinne an für uns ‚fremde‘ Orte und partizipieren für einen bestimmten Zeitraum im ausgesuchten Feld, um Zusammenleben, alltägliches Leben und Praktiken, oder kulturelle Zusammenhänge besser nachvollziehen und zu vermitteln. So fragten wir uns: Was ist ein gesunder Wald? Sind Wälder Natur oder Kultur? Wer kümmert sich um die Gesundheit von Wäldern? Und wer kann diese Fragen eigentlich beantworten? Wälder?
Die ‚Fremde‘, in die wir uns begeben haben, war die de-anthropozentrische Perspektive selbst und Bereiche von „Natur“. Auch Gesundheit und Care waren Begriffe, die wir bis dahin nur auf den Menschen bezogen haben und keine von uns hatte zunächst besondere Affinitäten zu Wäldern oder zu bestimmten Baumarten. Heute können wir stattdessen erkennen, welche Bedeutung sie im Zusammenleben haben und haben ein Bewusstsein über die Tristesse monokultureller Waldstrukturen, oder auch den kahlen Trieben kranker Eschen am Isarufer Münchens, entwickelt. Diese Erfahrungen haben gezeigt, dass Nähe zu und Wissen um ‚fremde‘ Akteur:innen, wie beispielsweise nicht-menschliche Companions, ausschlaggebend ist, um Diversität, differente Perspektiven und Bedarfe besser nachzuvollziehen.
Die Brisanz der Bedrohung durch Klimawandel und Artensterben und dem damit zusammenhängenden ökologischen Bewusstsein gab uns vor einem Jahr den Anstoß uns in das komplexe Themenfeld zu begeben. Das dreisemestrige Schwerpunktseminar zur Audio-visuellen Anthropologie bot uns zunächst die besondere Gelegenheit (ethnographische) Filmtheorien und Überlegungen zu Ethik, Repräsentation und Rezeption sozialer Wirklichkeiten anhand von Film-Beispielen zu diskutieren. Im weiteren Verlauf kamen forschungspraktische Seminare zu Kamera- und Tontechnik, Dramaturgie und Filmmontage hinzu. So konnten wir schon in der Forschungsvorbereitung üben, uns unser Thema audiovisuell zu erarbeiten. Die Forschungsnachbereitung, sprich, die Auswertung unserer qualitativen Daten, ging mit der Montage der einzelnen Filme Hand in Hand und wurde während des letzten Semesters des Forschungsschwerpunkts Audiovisuelle Anthropologie erarbeitet. Als 6-köpfiges Team haben wir vom kollaborativen Charakter und gemeinsam-Denken stark profitiert, sodass wiederkehrender Austausch und Diskussion zu fruchtbaren Ideen wurden.




Wir – eine junge Forschendengruppe bestehend aus 6 Frauen, die in München wohnen, studieren und arbeiten. Größtenteils sind wir im südlichen Deutschland und urban aufgewachsen, weiß, cis, akademisiert, priveligiert (zumindest in Teilbereichen!), uvm., aber auch zu gleichen Teilen besorgt, wie wir in Zeiten von multiplen Krisen, Kriegen, Desinformation und dem Erstarken radikaler Rechter auch noch besser auf den Planeten achten können. Das Gefühl von Machtlosigkeit und Starre kennen wir alle und unser individueller Handlungsspielraum bleibt im Vergleich zu den riesigen globalen Herausforderungen gering. Umso wichtiger war es für uns, während des gesamten Prozesses den Blick auch in die Zukunft zu richten. In unseren Feldern kam immer wieder die Frage auf, welche möglichst gute Zukunft wir uns füreinander vorstellen können? Es wurde klar, dass wir unsere Handlungen nach dieser spekulativen Zukunft ausrichten können und nicht nur mit apokalyptischen Vorstellungen zurückbleiben müssen.
Innerhalb der Sozial- und Kulturanthropologie bedeutet das qualitative Forschen in diversen Feldern eine intensive Auseinandersetzung mit sozio-kulturellen Phänomenen. Die Repräsentation und Darstellung von und über Kulturen hat wissenschaftshistorisch, besonders durch die kolonialen Verstrickungen und einhergehende Machtungleichheiten spätestens seit der Writing Culture Debatte in den 1980er Jahren einen reflexiven Umgang gefordert. Da Forschenden bewusst sein muss, eine gewisse Autorität auszuüben, wenn sie ‚über‘ Andere sprechen, müssen Forschungsmethoden, Machtungleichheiten, und die Positionalität der Forschenden reflektiert und sichtbar gemacht werden. Auch audio-visuelles Forschen und Multimodalität sind eine methodische Antwort auf die Krise der Repräsentation. Soziales Zusammenleben allein durch Ethnographien beziehungsweise das Medium Text widerzuspiegeln, kann auch dessen Facettenreichtum verschleiern. Unausgesprochenes, Atmosphärisches, Stimmungen, Emotionen, oder auch Mimik und Gestik sind Beispiele für subtile Nuancen, die visuell oder auditiv ganz anders transportiert werden können, als durch die reine Schriftform. Darüber hinaus ist visuelles/auditives Dokumentieren und Vermitteln eine Möglichkeit, wissenschaftliche Auseinandersetzungen oder komplexe Thematiken vereinfachter darzustellen und somit zugänglicher an eine breitere Zuhörer:innenschaft zu adressieren.
Für die Forschung selbst und gerade auch für die Webseite, wollten wir einen multimodalen Ansatz verfolgen. Unter Multimodalität ist nicht nur der Einsatz multipler Medien (wie z.B. Film, Foto, Audio) zu verstehen, sondern eine grundsätzliche Hinterfragung der Modalitäten, die wissenschaftliches Wissen hervorbringt, wie zum Beispie die Textzentriertheit in der akademischen Wissensproduktion. Multimodalität bedeutet also mehr als Text. Wir gehen davon aus, dass relevantes Wissen aber nicht nur auf die Textbasis beschränkt ist, sondern unterschiedliche Sinne oder Emotionalität ebenso wichtige Bestandteile für umfassendes Wissen darstellen.


In der Audio-visuellen Anthropologie wird über Bilder und Töne, aber auch mit Hilfe von Bildern und Tönen geforscht. Bild- und Klangwelten sind einerseits Untersuchungsgegenstand, um soziale Sachverhalte zu analysieren und dienen andererseits der Vermittlung kultureller Phänomene, Eigenheiten, oder Kontroversen. Dabei muss einer vermeintlichen Objektivität stets mit Skepsis begegnet werden. Filme sind mit dem Blick durch die Linse oder der Montage auch konstruierte Bilder und Geschichten, die subjektiv ausgewählt und zusammengesetzt wurden. Auch wir stellen damit keine – im positivistischen Sinne – beweisbaren Fakten her, sondern spiegeln Aspekte wider, bzw. schaffen mit einem sensorischen Zugang auch Raum für nicht-textuelles Erfahrungswissen. Dies zu reflektieren ist immer auch ein wichtiger Bestandteil audio-visueller ethnographischer Projeke.
Wir waren beispielsweise keine unauffälligen Beobachter:innen. Die Anwesenheit einer Kamera hat sich stets auch auf die gegebene Situation ausgewirkt. Darüber hinaus haben wir in den Feldern gezielt Fragen gestellt, in unseren Themenrahmen gesetzt und schließlich einen Zusammenhang zwischen den Feldern hergestellt. Eine Forschung ist stets situiert und geformt durch ihre jeweiligen Bedingungen. In unserem Fall hat der universitäre Rahmen, die technischen Ressourcen, Kapazitäten, Zeitplanung, persönliche Motivation, Interessen und Positionalität maßgeblich bestimmt, wie die Forschung gestaltet und ausgeführt wurde. Dadurch haben sich auch Leerstellen ergeben. Beispielsweise wären wir gerne auch mehr auf europäische und internationale Perspektiven eingegangen, hätten Kontroversen gerne noch multiperspektivischer ausgearbeitet, oder auch Aspekte sozialer Ungerechtigkeit in Bezug auf Klimawandel stärker und intersektional in den Fokus gesetzt. In zukünftigen Auseinandersetzungen würden wir hier ansetzen wollen. Unsere Forschung ist somit nicht nur das Ergebnis unserer Teilnehmenden Beobachtungen, sondern spiegelt vor allem auch den Lernprozess wider, uns in Forschungsfelder zu begeben und mit Hilfe audio-visueller Methoden und Multimodalität zu experimentieren, um ein umfassenderes Verständnis für komplexe kulturelle Phänomene zu bekommen.






